Ist das Reiten mit Gebiss noch Zeitgemäß?
Das ist eine sehr gute Frage, in unserer neuen Zeit ist vieles im Umbruch. Früher nutzten hauptsächlich die Buckaroos und Cowboys einen gebisslosen Zaum, das Hackamore (später auch Bosal), um die Jungpferde schonend durch den Zahnwechsel zu bringen.
Wenn das Pferd gelernt hat sensibel auf das Hackamore zu reagieren und vom Ausbildungsstand her weit genug war, bekam das Pferd die Kandarre hinzu und durfte diese mindestens 1-2 Jahre tragen (ohne Zügel), um sich hieran zu gewöhnen.
Erst wenn das Pferd vollkommen ausgebildet war, ritt man die Pferde auf blanker Kandarre. Die Kandarre war und sollte nach wie vor das Endziel, sozusagen die "Krönung" sein. Auch wenn ein Pferd soweit war, wechselten die Cowboys und Backaroos immer wieder auf das Bosal um ihre Pferde sensiebel zu erhalten.
Auch im Barockzeitalter war es bekannt, das die Jungpferde mit dem Zahnwechsel so ihre Probleme haben. Deshalb überlegte man sich schon recht früh Pferde mit einem feinen Kappzaum zu Reiten. Dieser fand nicht nur Verwendung in der Jungpferdeausbildung, sondern diente auch dazu, das Pferd sensibel im Maul zu erhalten (was ein Gebiss ohnehin nicht vermag).
Ebenso gab es schon zu dieser Zeit Reitmeister, die sich für eine gebisslose Reiterei ausprachen und nur selten zum Gebiss griffen.
Heutzutage reiten immer mehr Menschen ihre Pferde gebisslos. Gerade in dem Zeitalter des Natural Horsemanship legen viele Reiter wert auf eine freundschaftliche und ehrliche Partnerschaft zu ihrem Pferd.
Ebenso tauchen immer mehr mutige Menschen auf, die ihre Pferde nicht nur gebisslos, sondern auch ohne alles oder mit Halsring reiten.
Was bis vor einigen Jahren noch als "äußerst gefährlich" galt, findet immer mehr Zuspruch in der Reiterwelt. Kritiker behaupten, es sei zu gefährlich ein Pferd gebisslos oder gar ohne alles zu reiten, da man das Pferd dann nicht mehr unter Kontrolle hätte.
Ich muss nun aber die Frage stellen, wie möchte ein durchschnittlicher Erwachsener (ca.70Kg), ein Lebewesen von ca.600Kg unter Kontrolle halten? Wenn das Pferd sein gesamtes Körpergewicht einsetzen würde hätte der Mensch sehr schlechte Karten.
Also mal im Ernst, welches Pferd das in Panik ist, lässt sich von einem Gebiss (mag es noch so schmerzhaft sein,) beeindrucken und lenkt in seiner Panik plötzlich ein, nach dem Motto "das tut so weh, dann lauf ich lieber langsamer und lasse mich von dem Raubtier/Angreifer fressen?" - da Pferde Fluchttiere sind, wird das wohl eher nicht passieren.
Was allerdings passiert ist, dass diese Einwirkung dem Pferd erhebliche Schmerzen verursacht. Auch wenn Pferde hart im Nehmen sind, sollte man sich ernsthaft fragen, ob diese unangenehme Situation bei dem Pferd Pluspunkte in Hinsicht auf die Beziehung von Pferd und Mensch einbringt? Wohl eher nicht.
Eins sei gesagt, wenn ein Pferd durchgeht (Panikzustand) kann man es weder mit einem Gebiss noch mit einer gebisslosen Zäumung daran hindern zu flüchten, wenn es dies für das einzig richtige hält!
Was man allerdings im Vorfeld tun kann ist die Beziehung zu seinem Pferd soweit zu vertiefen, dass es dem Menschen als Führungspersönlichkeit ansieht und es sich auf die Entscheidung des Menschen verlässt. Dann ist es unsere Entscheidung, ob man sich zusammen mit dem Pferd der Gefahr stellt, oder davon flüchtet.
Ich denke hiermit ist erklärt, dass weder ein Gebiss, noch eine gebisslose Zäumung, ein in Panik geratenes Pferd, unter Kontrolle halten kann.
Gebisslose Zäumungen - Vorteil oder Nachteil?
Auch hier finden wir wieder einige die sagen, dass eine gebisslose Zäumung nicht sanfter wäre, als ein gut passendes Gebiss. Natürlich gibt es einige gebisslose
Zäumungen die falsch oder zu hart eingesetzt, nicht viel angenehmer für das Pferd sind, als ein Gebiss. Darunter fallen ebenso auch nicht angepasste
Zäumungen, die meist der Grund für das Unwohlsein auf Seiten des Pferdes verantwortlich sind. Daher empfehle ich auch immer, wenn Sie sich für eine
gebisslose Zäumung entscheiden, dies mit einem guten Reitleherer, der weiß wie diese Zäumungen zu sitzen haben, in Kontakt zu setzten und mit ihm dies zu besprechen und anzupassen. Gerne können
Sie mich hierfür kontaktieren.
Ebenso wichtig ist natürlich auch die Einwirkung des Reiters auf sein Pferd. Sind seine Hilfen nicht weich und präzise, ist dies ebenso nicht angenehm für das Pferd. Selbiges gilt für das Reiten mit Gebiss. Hier wäre guter Reitunterricht und Schulung entsprechender Defizite ratsam.
Aus meiner Erfahrung laufen die Pferde, nach einer kleinen Umgewöhnungszeit, ohne Gebiss viel lockerer und entspannter. Pferde die sich zuvor auf das Gebiss gelegt haben oder sich heftig wehrten, taten dies nun ohne Gebiss nicht mehr.
Viele Pferde die ich bei dieser Umstellung begleitet habe sind insgesamt viel motivierter und arbeitssamer als vorher. Und natürlich ist der Reiter auch gefragt durch eine sehr feine Kommunikation, die aufrecht erhalten werden muss, damit das Pferd nicht abstumpft.
Was spricht gegen das Reiten mit Gebiss?
Glücklicherweise gibt es immer mehr Pferdeleute, die sich mit dem Gebiss und seiner Lage im Maul, sowie dessen Auswirkung in Studien erforschen. Eine davon ist Friederike
Uhlig, deren Studie Sie hier finden. Hier wird anschaulich gezeigt, wie das Gebiss im Pferdemaul liegt und was es für
Kraftentwicklungen gibt. Hier kann man feststellen, dass sich enorme Kräfte beim Einwirken auf das Gebiss ergeben, die man von außen so nicht
vermutet hätte.
Des weiteren kann man sich einmal vorstellen, man hätte ein Gebiss im Mund, welches in der Mitte gebrochen ist ( so wie eine einfach gebrochene Wassertrense). Nun wird man feststellen, dass man mit der Zunge dieses Gebiss ausbalancieren muss, da es sich durch das gebrochene Metallstück sehr flexibel hin und her bewegt. Wenn man aber seine Zunge bewegt, um das Gebiss auszubalancieren, wird man feststellen, dass das Anspannen des Zungenmuskel (zum ausrichten) nicht nur den Zungenmuskel beansprucht, sondern sich im ganzen Körper fortsetzt. Ist man dann noch locker? Natürlich nicht.
Das Reiten mit gebrochenem Gebiss führt in den allermeisten Fällen dazu, dass sich das Pferd darauf konzentriert das Gebiss zu positionieren und wird automatisch sich anspannen müssen (siehe Halsmuskel). In entsprechender Fortbewegung wird es entsprechend schwieriger. Das Pferd muss sich nun auf das Gebiss konzentrieren und auf die Wünsche des Reiters.
Nicht zu vergessen ist auch, dass ein Gebiss auf einem Muskel liegt und sich darunter direkt Knochen befinden. Das Pferd hat somit kein "Polster", mit dem es Druck, in welche Richtung auch immer, abfedern kann. Ebenso verlaufen hier viele Nerven, die das Maul ebenfalls so empfindsam machen und bei zu großen Kräften (die schnell erreicht werden) sehr schmerzhaft für das Pferd sind.
Was nun, reiten mit oder ohne Gebiss?
In aller erster Line sollte das Bauchgefühl ausschlaggebend sein für diese Entscheidung. Hat man große Angst ohne Gebiss zu reiten, so sollte man besser bei dem Gebiss bleiben oder einen Wechsel zusammen mit einem einfühlsamen Trainer machen, der einem Sicherheit bieten kann. Natürlch ist das Pferd nicht weniger wichtig bei dieser Entscheidung, denn was für das eine Pferd gut ist, muss für das nächste noch lange nicht gut sein. Insgesamt kann man aber sagen, das 90% der Pferde besser und glücklicher unter Ihrem Reiter laufen, wenn Sie kein Gebiss tragen müssen.
Wie schon erwähnt ist bei der Wahl eines gebisslosen Zaumes eine Anpassung an das jeweilige Pferd- und Reiterpaar von nöten, um die optimale Lösung zu finden und ein entspanntes und vor allem gesundheitlich unbedenkliches Arbeitsklima zu schaffen.
Ist das Reiten ohne Gebiss genauso wie das mit?
Im Grunde lässt sich diese Frage mit ja beantworten. Wer ein sensibeles Pferd hat wird dieses behalten. Jemand der ein abgestumpftes Pferd hat wird dieses ebenfalls behalten. Ausschlaggebend für die Wirkung der Zäumung ist die Arbeit, die Sie investieren. Wenn Sie stetig bemüht sind sich auf feine Hilfen zu beschränken, werden Sie auch gebisslos ein wunderbar sensibeles Pferd, welches sehr gut an den Hilfen steht haben. Das ist ja genau das, was man mit der Reiterei erzielen möchte. Ein feines, sensibeles Pferd, was mit einem "Hauch" von Hilfen geritten werden kann. Das Ziel ist das selbe, ebenso wie der Weg dorthin. Auch ein abgestumpftes Pferd können Sie gebisslos fein reiten, wenn Sie bei jeder Übungseinheit achtsam sind. Es liegt allein in Ihren Händen, was daraus entstehen soll.
“Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind.” Zitat von Henry Thoreau